Querwaldein „Blaumeisen und Turmfalken – Waldtrauergruppe für Kinder in der Natur“
Einen nahestehenden Menschen zu verlieren ist für alle mit Trauer und Schmerz verbunden. Vor allem für Kinder bedeutet das, eine schwere Zeit zu durchleben.
Kinder sollten deshalb nach dem Verlust einer nahestehenden Person bei ihrer Trauer unterstützt werden. Das Projekt „Blaumeisen und Turmfalken – Waldtrauergruppe für Kinder in der Natur“ hat sich zur Aufgabe gemacht, Kindern dabei zu helfen, mit einem solchen Verlust umzugehen.
In 14-tägigen Treffen für jeweils 2 Stunden kommen sechs bis zehn Kinder ab dem 5. Lebensjahr in der Natur zusammen. Treffpunkt ist hierbei der Schultenhof in Dortmund-Hombruch. Seit August 2021 besteht die Gruppe aus einem festen Kern von sechs Kindern, welche alle ein Elternteil verloren haben.
Aus dem Internetauftritt von Querwaldein e.V. :
"Gemeinsam wollen wir eine besondere Zeit in der Natur erleben. Wir treffen uns alle zwei Wochen in unserem Garten am Schultenhof. Dort können wir zusammen am Feuer sitzen, schnitzen und singen oder wir ziehen in den Wald, wo wirspielen und toben, Ruhe erfahren oder unsere Geschichten miteinander teilen. Alle Kinder die hier in der Gruppe sind, haben erfahren, wie es ist einen geliebten Menschen zu verlieren. In Gemeinschaft mit Gleichgesinnten haben wir die Möglichkeit uns selbst mit all unseren Gefühlenanzunehmen. Trauer und Schmerz sind hier genauso kein Tabu wie zusammen Lachen und beim Spielen Spaß haben.
In dieser neuen und besonderen Querwaldeingruppe werden Elemente der Natur- und Wildnispädagogik mit Ritualen aus der Trauerarbeit kombiniert. So werden die Kinder umsichtig in ihrem Trauerprozeß und den einhergehenden Erfahrungen in der Gruppe begleitet. Der Wald in seiner Vielfalt bietet dabei eine wunderbare Unterstützung. Unterschiedliche Ausdrucksmöglichkeiten für die Trauer und das Erinnern werden den Kindern durch Spiele, das Gestalten mit Naturmaterialien und in Gruppengesprächen gegeben. Die Natur, als Ort frei von den alltäglichen Anforderungen und Verhaltensmustern wird so für die Kinder zum neutralen Erfahrungsraum."
Es werden nicht nur freie Spieleinheiten, naturerlebnispädagogisch angeleitete Aktivitäten und kleine Rituale durchgeführt, sondern auch Redeanlässe geschaffen, die den Trauerprozess unterstützen sollen. Schmerz und Trauer sowie Lachen und Spaß beim Spielen stellen hier kein Tabu dar.
Die Eltern der Kinder sind auf verschieden Wegen auf dieses Projekt aufmerksam geworden, und die Teilnahme ist kostenlos. Die Erfahrung der letzten zwei Jahre zeigt, dass die Eltern das kontinuierliche Angebot der Gruppe sehr schätzen, und die Kinder sehr gerne an dieser Gruppe teilnehmen.
Finanziert wird das Projekt durch Spenden und seit August 2021 zu gleichen Teilen von der Stiftung Kinderglück und der ProFiliis-Stiftung. Im Schuljahr 2021/2022 waren insgesamt 20 Termine geplant, von denen 2Termine noch nach den Sommerferien nachgeholt werden.
Update 04.07.2022:
Für das Schuljahr 2022/23 sind insgesamt weitere 20Termine geplant. Das Projekt, welches von den Fachkräften Karin Sinn und Marion Metzger geleitet wird, soll aufrechterhalten werden.
Die ProFiliis-Stiftung, hält das Projekt für sehr wichtig und hat soeben gemeinsam mit der Stiftung Kinderglück entschieden, das Projekt für ein weiteres Jahr zu finanzieren.
ncs
Update 13.03.2023: Projektbericht zum Schuljahr 2021/2022
Seit August 2021 bestand die Waldtrauergruppe lange Zeit aus sechs Kindern im Alter zwischen fünf und zwölf Jahren, die alle ein Elternteil verloren haben. Im Mai kamen dann zwei Kinder zu der Gruppe hinzu und zum Sommer hin waren Kennenlerntermine mit drei weiteren Familien vereinbart.
Die Waldgruppe wurde sehr gut von den Kindern angenommen. So fragten sie zu Hause, wann wieder ein Treffen stattfindet, kamen gerne zu den Terminen und verbleiben für längere Zeit in der Gruppe. So konnte die Gruppe über die Monate gut zusammenwachsen, sodass ein vertrauter und offener Umgang miteinander möglich war und ist.
Die Zusammenarbeit mit den Eltern bzw. Großeltern hat einen großen Stellenwert. Es finden bei jedem Treffen Übergabegespräche zwischen (Groß-)Eltern und Fachkräften statt. Die Begleitung und Unterstützung der Familien ist dem Team von Querwaldein e. V. ein großes Anliegen. So fand beispielsweise am letzten Termin vor den Weihnachtsferien ein gemeinsames Treffen auch mit den Eltern und Großeltern statt. Das gemütliche Beisammensein sollte die Familien in der dunklen Jahreszeit und mit Blick auf die Feiertage zusätzlich stärken.
Der Verein möchte die Waldtrauergruppe langfristig aufrechterhalten. Hierzu ist eine intensive Öffentlichkeitsarbeit notwendig, damit alle potentiell interessierten Familien von dem Angebot erfahren. Die aktuellen Familien sind z. B. über den Vereins-Newsletter oder Zeitungsberichte auf das Projekt aufmerksam geworden, aber auch über privaten Austausch oder die Empfehlung einer Kinderpsychologin.
sh
Update 28.11.2023: Projektbericht zum Schuljahr 2022/2023
Im Schuljahr 2022/23 konnten die Kapazitäten der Trauergruppe gesteigert werden, sodass nun 17 Kinder im Alter von fünf bis elf Jahren angemeldet sind; sechs von ihnen bereits seit 2021. Pro Treffen nehmen im Durchschnitt zehn Kinder teil.
Für mehrere der Kinder, die neu zur Gruppe hinzugekommen sind, kam der Tod eines Elternteils völlig unerwartet. Auch wenn es für sie recht lange sehr schwierig war, sich mit ihrer Trauer auseinander zu setzen, nehme sie das Angebot der Waldtrauergruppe sehr gut an und erleben diese als Stütze.
„Diese Waldtrauergruppe bietet nicht nur einen sicheren Raum, um gemeinsam zu trauern, sondern auch die Möglichkeit, durch Spiele, Erfahrungsaustausch und kreative Aktivitäten untereinander Verbundenheit zu finden. Daher ist das Herzstück der Waldtrauergruppe die Vielfalt an Aktivitäten, die den Kindern helfen, ihre Emotionen auf spielerische Weise zu verarbeiten. Unter freiem Himmel können sie frei spielen, ihre Kreativität ausleben und gleichzeitig gemeinsam mit anderen Kindern einfach Kind sein.“ (Projektbericht Querwaldein)
So wurde im vergangenen Jahr beispielsweise viel mit Holz gearbeitet, die Flora und Fauna des Waldes erforscht, in der Hängematte entspannt oder erzählt. Die Kinder entscheiden selber, was sie machen möchten und was ihnen an diesem Tag gut tut. Das Gemeinschaftsgefühl wird durch das gemeinsame Picknick im Wald, das fester Bestandteil der Treffen ist, gestärkt. Hier entstanden immer wieder Erzählimpulse und die Kinder machten die Erfahrung, dass sie mit ihren Emotionen nicht alleine sind.
Im Gespräch über den Namen der Gruppe „Blaumeisen und Turmfalken“ kam die Idee auf, der Gruppe bei jedem Treffen einen neuen Namen zu geben – je nachdem was sich bei dem jeweiligen Treffen für die Kinder gut anfühlt. So gab es unter anderem schon die Wolfsgruppe, die Fledermausgruppe und die Eichhörnchengruppe.
Als im Winter die Dämmerung früher einsetzte, wurden Taschenlampen mitgenommen und der Wald in dieser ganz besonderen Stimmung erkundet. Da Trauer Ängste verstärken kann und einige Kinder Angst in der Dunkelheit haben, waren dies zum Teil herausfordernde, aber auch stärkende Situationen.
Der Stellenwert, den die Waldtrauergruppe für die Kinder hat, wird in folgender Erzählung der leitenden Pädagoginnen deutlich, als der Geburtstag eines Kindes auf den Tag der Trauergruppe fiel: „Es war der erste Geburtstag ohne seine Mama. Er wollte aber unbedingt zur Waldkindertrauergruppe kommen, obwohl die Verwandtschaft extra angereist war. Wir haben seinen 9. Geburtstag im Wald gefeiert. Es war schön und gleichzeitig sehr traurig.“
sh
Update 23.07.2024: Projektbericht zum Schuljahr 2023/2024
Die Waldtrauergruppe „Blaumeisen und Turmfalken“ hat sich auch im Schuljahr 2023/24 wieder im Rhythmus von 14 Tagen an 20 Terminen auf dem Schultenhof getroffen, um gemeinsam Zeit im angrenzenden Wald, der Bolmke, zu verbringen. Aktuell sind 13 Kinder angemeldet, die auch regelmäßig an den Treffen teilnehmen. Die Kinder sind zwischen sechs und zwölf Jahren alt. Viele der Kinder kommen bereits längere Zeit zu den Treffen der Waldtrauergruppe, sodass vertrauensvolle Beziehungen unter den Kindern entstanden sind und das Zusammensein sehr harmonisch und respektvoll abläuft.
Die Zeit im Wald ist für die Kinder sehr heilsam. Sie sind durch die Trauer um einen Elternteil großer Belastung ausgesetzt. Die Natur hilft ihnen zu entschleunigen und der Wald ist für sie ein stressfreier(er) Ort.
Die Kinder dürfen die Zeit im Wald sehr frei gestalten und können dort das machen, was sich für sie gut anfühlt. Zusätzlich machen ihnen die Querwaldein-Mitarbeiter:innen verschiedene Angebote. So werden beispielsweise wilde Bewegungsspiele gespielt, bei denen die Kinder Spannungen abbauen und sich als frei und lebendig erleben können. Ruhiger geht es beim sehr beliebten Schnitzen zu. Es scheint für die Kinder zum Teil eine meditative Wirkung zu haben und bildet einen guten Rahmen für Unterhaltungen. Im Projektbericht von Querwaldein heißt es: „Die Kinder unterstützen sich gegenseitig in ihrer Trauerbewältigung, indem sie miteinander reden“. Diese Gespräche entstehen ganz natürlich und behandeln zum Teil ganz alltägliche Themen wie die Schule oder einen neuen Kinofilm. Da die Kinder füreinander vertraute „Leidensgenoss:innen“ sind, finden aber auch Gespräche über die eigene Trauer, das Leben ohne einen Elternteil oder Sorgen ganz natürlich und unverstellt miteinander statt.
Die Gruppe hat inzwischen auch eigene kleine Rituale entwickelt. So darf sich beispielsweise ein Kind, das Geburtstag hatte, von den anderen in einer Wolldecke tragen und hin- und herwiegen lassen – ähnlich wie in einer Hängematte. Dabei sagen ihm die anderen Gruppenmitglieder gute Wünsche und das Kind darf sich auch selbst etwas wünschen.
An einzelnen Terminen werden die hinterbliebenen Eltern ebenfalls eingeladen. So wurde beispielsweise zum Auftakt des Jahres 2024 gemeinsam mit Eltern und Kindern ein Feuer gemacht, das „Energie und Wärme für das neue Jahr gespendet hat“. „An dem Tag schien die Sonne und es lag Schnee. Es war ein außergewöhnlich wunderschöner Tag, der auch Trost schenken und für Begeisterung sorgen konnte.“
Bei dem letzten Treffen vor den Sommerferien wünschten sich die Kinder, dass ihre Eltern sie bei einer Schnitzeljagd durch den Wald suchen sollten. Am Ort für das Abschluss-Picknick angekommen mussten die Eltern ihr Kind in einem Versteck finden. Das fröhliche Beisammensein und der Moment des Findens stärken die Verbindung zwischen Elternteil und Kind.
Im ersten Projekthalbjahr gab es außerdem eine neue Entwicklung: Während die Kinder vom Schultenhof aus in die Bolmke gehen, verbringen die hinterbliebenen Elternteile die Zeit gemeinsam im Hofcafé des Schultenhofs. So ist eine Art Selbsthilfegruppe für die Eltern entstanden, in der sie sich austauschen und gegenseitig unterstützen können.
Die Rückmeldungen der hinterbliebenen Eltern sind durchweg positiv: Die Gruppe tut den Kindern gut und sie sind dankbar für das Angebot.
Zwei Ausschnitte aus dem Projektbericht von Querwaldein geben tiefere Einblicke in das Geschehen und das Wirken der Waldtrauergruppe:
„Einmal hatte ein Kind den Wunsch einen sehr dicken herumliegend toten Baum, weil er beim Bude bauen störte, durch zu sägen. Es hat unglaublich lange gedauert und viel Kraft gekostet. Zu Beginn waren mehrere Kinder an dem Vorhaben beteiligt. Das Kind hat es zu guter Letzt allein geschafft und war überaus glücklich: Es hat seine eigene Kraft gespürt in einer Lebenssituation, in der es ohnmächtig ist. Diese Erfahrung kann nachhaltig wirken.“
„Beim gemeinsamen Picknick werden die Leckereien und Ansichten/Gedanken geteilt. Z.B.: fragte ein Kind sich selbst und die Gruppe; " wie der Baum sich wohl fühlt, wenn er direkt neben seinen toten Brüdern steht, die alle um ihn herum liegen?" Es ist eine ungewöhnliche Frage und zeigt wie sehr das Thema Tod und Sterben für die Kinder präsent ist.“
Für die Zukunft plant Querwaldein die Vernetzung mit anderen Hilfsangeboten für Kinder in Trauer. Ein erster Schritt in die Richtung ist bereits gemacht, da Querwaldein nun im Arbeitskreis „Trauer, Suizidalität und Tod“ aktiv ist.
Es ist selbstverständlich eine Fortführung der Waldtrauergruppe „Blaumeisen und Turmfalken“ im Schuljahr 2024/25 geplant. Für das erste Projekthalbjahr wurde bereits von anderer Stelle eine Förderzusage gemacht. ProFiliis übernimmt daher die Kosten für das 2. Projekthalbjahr (Januar bis Juli 2025) und stellt Querwaldein zu diesem Zweck Mittel in Höhe von 2.500,- Euro zur Verfügung.
sh